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Foto von Dr. Tobias Riethmüller, Rechtsanwalt und Partner bei GSK Stockmann

Digitale Finanzanlagenberatung, Interview

„Die Anforderungen an die Anlage­beratung werden weiter steigen“, Dr. Tobias Riethmüller (GSK Stockmann) im Interview

Steigende rechtiche Anforderungen stärken das Vertrauen in den Finanzmarkt und schützen Anleger, führen aber auch zu einer gewissen Überforderung.

Dr. Tobias Riethmüller ist Rechtsanwalt und Partner bei GSK Stockmann und war an der Entwicklung der Advisory Suite von portagon beteiligt: Er hat u.a. den Algorithmus der neuen digitalen Finanzanlageberatung auf Basis der rechtlichen Vorgaben definiert. Für ihn ist klar: Die Anforderungen an die Anlageberatung werden in Zukunft weiter steigen.

Herr Dr. Riethmüller, wie hat sich die Regulierung der Finanzanlageberatung in Deutschland in den letzten Jahren entwickelt?

Der Anlegerschutz hat seit der Finanzkrise 2007/2008 enorm an Bedeutung gewonnen. Die zentrale Reform war dabei die Neufassung der europäischen Finanzmarktrichtlinie MiFID, also MiFID II. Mit dem Ziel, verlorenes Vertrauen in den Finanzsektor wiederherzustellen, gingen zahlreiche Transparenzanforderungen und Verhaltenspflichten in der Anlageberatung einher. Dazu gehören die Geeignetheitsprüfung, in deren Rahmen die Präferenzen der Kund:innen mit möglichen Anlageprodukten abgeglichen werden müssen, wobei der ganze Vorgang durch eine Geeignetheitserklärung dokumentiert werden muss, die Kosteninformation, die Kund:innen vor und nach der Zeichnung einer Kapitalanlage zur Verfügung gestellt werden muss, und die verpflichtende Aufzeichnung von Beratungsgesprächen, das „Taping“. Diese Anforderungen gelten mittlerweile auch für Berater mit einer Erlaubnis nach § 34f Gewerbeordnung.

Viele Finanzinstitute und Vermittler:innen ächzen unter diesen Anforderungen. Zurecht?

Man muss im Blick behalten, worum es geht: Das Vertrauen in den Finanzmarkt zu stärken, Krisen zu vermeiden, Anleger:innen zu schützen. Davon profitieren letztlich alle, die in diesem Umfeld aktiv sind. Aber natürlich können die Anforderungen gerade bei kleineren Anbieter:innen zu einer gewissen Überforderung führen, wenn sie sich immer wieder auf veränderte und meist verschärfte Vorgaben einstellen müssen. Der administrative Aufwand ist stark gestiegen, die Haftungsrisiken auch. Auf der anderen Seite haben diese Vorgaben auch bestimmte Geschäftsmodelle befördert: Haftungsdächer stellen heute vielfach den Compliance-Rahmen, in dem sich Anlageberater:innen bewegen können.

Foto von Dr. Tobias Riethmüller, Rechtsanwalt und Partner bei GSK Stockmann

Dr. Tobias Riethmüller

Partner bei GSK Stockmann

„Der Rechtsrahmen für die Anlageberatung wird komplexer.“

Welche Strafen drohen Banken und Anlageberater:innen, die rechtliche Vorgaben nicht erfüllen?

Da gilt es, zwei Dimensionen zu berücksichtigen: Die aufsichtsrechtliche und die zivilrechtliche. Aufsichtsrechtlich prüft bspw. die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) turnusgemäß die einzelnen Anbieter:innen, fordert u.a. Aufzeichnungen von Beratungsgesprächen oder Vertragsunterlagen ein und kann den Vertrieb von Finanzinstrumenten verbieten oder beschränken. Mögliche Sanktionen sind individuell, müssen dem Verhältnismäßigkeitsprinzip folgen und reichen von der Aufforderung zu Verbesserungen über Bußgelder bis zum Entzug der Erlaubnis. Zivilrechtlich können Anleger:innen natürlich Schadensersatzansprüche geltend machen, bspw. wenn Berater:innen nachweislich ihre Aufklärungs- oder Beratungspflichten verletzt oder nicht im Anlegerinteresse gehandelt haben. Zu beachten ist, dass die Haftung für Anlageberater:innen durch ihre individuelle Beratungsleistung deutlich schneller greifen kann als für Anlagevermittler:innen.

Werden die rechtlichen Anforderungen an die Anlageberatung weiter steigen?

Das ist derzeit ganz klar die Tendenz. Wir erleben einen Finanzmarkt, der sehr dynamisch ist: neue Produkte, neue Anlageformen, die Technologisierung nimmt zu. Das alles wird in der Regulierung mit etwas zeitlichem Verzug in neue rechtliche Vorgaben und Anforderungen übersetzt. Hinzu kommt, dass ab diesem August Finanzberater:innen verpflichtet sind, die Nachhaltigkeitspräferenzen ihrer Kunden abzufragen und bei der Anlageempfehlung zu berücksichtigen. Auch dies stellt die Branche vor neue Herausforderungen.

Machen Sie es konkret …

Ein plastisches Beispiel: Das European MiFID Template ist ein Format, mit dem Produktgeber und Finanzintermediäre Informationen austauschen können, die unter MiFID II relevant sind. Das ist ein Excel-Sheet mit rund 100 Zeilen. Seit kurzem gibt es das vergleichbare Dokument für die Nachhaltigkeitsregulierung, das European ESG Template. Dieses hat knapp 600 Datenpunkte, die bei der Beratungstätigkeit relevant werden können.

Ein weiteres Beispiel ist die europäische Verordnung über Kryptowerte (MiCA). Durch diese werden demnächst Anbieter bestimmter Krypto-Dienstleistungen verpflichtet, regulatorische Anforderungen einzuhalten, die an den Vorgaben der MiFID und der Marktmissbrauchsverordnung orientiert sind, auch wenn die entsprechenden Kryptowerte keine Finanzinstrumente im Sinne der MiFID sind. Auch diese neuen Anforderungen können sich auf die Anlageberater:innen und ihre Risiken auswirken.

GSK Stockmann wurde im Jahr 1997 als Zusammenschluss von Rechtsanwälten führender deutscher und internationaler Wirtschaftskanzleien gegründet. Seitdem sind wir stetig gewachsen und zählen heute mit über 200 Rechtsanwälten, Steuerberatern und Notaren zu den 30 umsatzstärksten Wirtschaftskanzleien in Deutschland.

Dr. Tobias Riethmüller ist Rechtsanwalt und Partner bei GSK Stockmann, Leiter des GSK Competence Center Digitalisierung und Geschäftsführer der GSK Compliance GmbH. Er war in mehreren Jahren Sachverständiger des Bundestages bei Kapitalmarktthemen. Nach Stationen bei nationalen und internationalen Wirtschaftskanzleien stieß Dr. Riethmüller 2019 zu GSK Stockmann.